Hochradfahren für Anfänger
letzte Aktualisierung: 20.05.2012
Text u. Fotos: Jürgen Nöll
125 Jahre ist es her, dass Nähmaschinenfabrikant Adam Opel dem Drängen seiner Söhne nachgibt und sie zu Weihnachten mit einem Hochrad überraschen möchte. Doch die hochbeinigen Gefährte kosten ein kleines Vermögen. So lässt er sich einen Satz Musterteile aus England kommen um das Rad in der eigenen Fabrik zusammenzubauen. Die Probefahrt endet für ihn - so sagt es die Firmenchronik - kopfüber im Staub der Landstraße. Viel zu gefährlich für die Buben, das Teufelswerk wird schnellstmöglich verkauft. Es war wohl der stolze Preis, den er für das Rad beim Weiterverkauf erzielte, der den Geschäftssinn in ihm weckte. Er lässt weitere Rohteile für eine Kleinserie besorgen und fertigt bereits 1886 die ersten Räder selbst. Vier Jahrzehnte später avanciert sein Unternehmen zum größten Fahrrad-Produzenten der Welt. Schon als Kind im Schulunterricht hatten mich die beiden Karikaturen "Theorie und Praxis" seiner verhängnisvollen Hochradfahrt fasziniert. Eine Faszination, die mich bis zum heutigen Tage nicht losgelassen hat. Irgendwann würde ich es selbst einmal probieren...
Hochradfahren
Aus der Opel Firmenchronik
Irgendwann, das war im Sommer letzten Jahres. Der RV Opel 1888, noch von der Familie Adam Opels gegründet und Mitglied im Veteranen Fahrzeug Verband (VFV), unterhält eine eigene Sparte "Historische Fahrräder". Und dort werden auch kostenlose Kurse im Hochradfahren angeboten.
Hochradfahren in 3 Lektionen
Lektion 1:
Klaus, der Betreuer und Trainer der Hochradtruppe stützt das Rad während ich mich - hinter dem hochbeinigen Ungetüm stehend und beide Lenkerenden fest umfassend - in Startposition begebe. Mit dem linken Fuß steige ich über den kleinen Aufstieg (genannt "Pin") am Rahmenrohr in den Sattel. Klaus hält die ganze Fuhre, bis ich richtig sitze und beide Füße auf den Pedalen stehen. Jetzt langsam anfahren. Nein, es ist eben nicht wie normales Radfahren. Weil nämlich, wenn ich das rechte Pedal nach vorne trete, über die Radachse ein Moment ins Vorderrad einleite, ein Moment, dass das Rad nach links drehen möchte und das mit der Lenkstange ausglichen werden muss. Am Anfang ist das eine äußerst wacklige Geschichte. Und noch ein ungewohntes Gefühl: die Pedale drehen mangels Freilauf ständig mit. Doch schon nach ein Paar Runden in der Sporthalle ist das Gefühl des Balancierens da. Klaus muss mich auch nicht mehr stützen - ich fahre selbst. Gut zu wissen, dass er aber mitläuft und da ist, wenn es Komplikationen geben sollte. So ist also Hochradfahren. Denke ich - doch Klaus hält die Zeit für gekommen, das selbstständige Aufsteigen zu erlernen.
Lektion 2:
Startaufstellung wie gehabt - Grundstellung. Hinter dem Rad stehend, beide - zugegebenermaßen feuchte Hände am Lenker, den linken Fuß auf dem Aufstieg. Mit dem rechten Fuß am Boden Schwung holen - wie früher beim Roller fahren - dann am Lenker hochziehen. Der linke Fuß ist immer noch auf dem Aufstieg, der rechte baumelt in der Luft. Stehend einfach nur dahin rollen. Wieder runter, mit dem rechten Fuß rollern und wieder hochziehen und rollen lassen. Das ständige Hochziehen kostet Kraft, aber es klappt prima. Und jetzt, so Klaus, wieder Grundstellung, rollern, hochziehen und unmittelbar nach dem Hochziehen den rechten Fuß genau dann aufs Pedal setzen, wenn es gerade seine höchste Stelle überschritten hat und sich auf dem Weg abwärts befindet. Dann den linken Fuß nachholen und - man fährt!
Und während ich so meine Bahnen durch die Halle ziehe, erkenne ich, dass die geschwungenen Bögen im Lenker mehr sind als nur Zierde: Sie schaffen den nötigen Freiraum für die Knie des Fahrers, die sonst an den Lenker stoßen würden. Und noch etwas wird mir beim Fahren klar. Ich habe mich schon oft über die Drahtbügel hinter dem Steuerkopf unmittelbar über dem Reifen gewundert. Anfangs hielt ich es - wie bei den frühen Niederrädern mit Luftbereifung - als Nagelfänger gegen platte Reifen. Aber Hochräder haben ja in der Regel Vollgummireifen und sind somit konstruktiv bedingt schon vor "Platten" sicher. Der wirkliche Sinn des Bügels beim Hochrad erschließt sich mit erst beim Kurvenfahren, als er mir leicht gegen den Oberschenkel drückt, bevor dies der Vorderradreifen tut. Ein Schutzbügel also...
Lektion 3:
Das Anhalten und Absteigen soll, so heißt es allgemein, das Schwierigste am Hochradfahren sein. Und in der Tat, für mich ist es das auch. Man muss nämlich noch im Rollen mit dem linken Fuß blind nach hinten auf den Aufstieg gelangen. Mit dem Fuß entlang dem Rahmenrohr nach unten, dann müsste er irgendwo fühlbar sein. Ich fühle aber nichts. Vor allen Dingen irritiert mich, dass ich mich voll und ganz auf die Suche nach dem kleinen Ding konzentriere und das rechte Pedal ständig meinen Fuß "desmodromisch", d.h. zwangsgesteuert auf und ab bewegt. Es fehlt eben der Freilauf. Erst als ich noch rollend und im Sattel sitzend, beide Füße von den Pedalen nehme, findet der linke Fuß den Aufstieg. Ich verlagere das Körpergewicht ganz auf den linken Fuß und steige mit dem rechten Fuß nach hinten auf den Boden. üben, üben, üben. Aber der Erfolg stellt sich ein. Und nach einer dreiviertel Stunde habe ich die „Grundschritte“ drin. Aufsteigen, Fahren, Anhalten und Absteigen. Ein Anfang - nicht mehr. Die Pflicht - die Kür kommt später. Danke Klaus!
Hat der Artikel Ihre Neugierde, wie sich das ganze in der Realität anfühlt, geweckt? Dann schauen Sie doch einfach mal beim Training der Hochradfahrer vorbei.
Trainingszeiten
In den Wintermonaten Oktober bis März trainieren wir jede zweite Woche mittwochs, jeweils in der ungeraden Woche, in der Zeit von 18:00 - 20:00 Uhr in der Sporthalle der Gerhart-Hauptmann-Schule, Im Reis 51, Rüsselsheim-Königstädten.
In den Sommermonaten April bis September wird bei trockenem Wetter im Freien trainiert, bei regnerischem Wetter weichen wir in die Halle aus. Das Training findet von 18:00 - 20:00 Uhr auch jeden zweiten Mittwoch in den ungeraden Wochen statt. Treffpunkt ist an der Sporthalle der Gerhart-Hauptmann-Schule, Im Reis 51, Rüsselsheim-Königstädten.
Individuelles Training
Für den Einstieg ist auch ein individuelles Training möglich.
Haben Sie Interesse?
Dann rufen Sie doch einfach unverbindlich unseren Übungsleiter Hochrad, Herrn Klaus Flunkert, unter Tel. 06142 - 33503 an und vereinbaren einen Termin.
Wir freuen uns auf Sie und vielleicht sind Sie schon bald einer der RV Opel Hochradfahrer auf einer der Veranstaltungen, an denen die historischen Hoch- und Niederräder teilnehmen.